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In der Sache völlig falsch

Trotz Krise werden die Ruhegelder nicht sinken. Das hat die Regierung jetzt beschlossen. Das Wahlgeschenk hat seinen Preis: Nullrunden sind absehbar. Keine Garantie gibt es für die Stabilität der Beitragssätze.

Berliner Zeitung: Professor Miegel, können Sie einem Laien in drei Sätzen die Rentenformel erklären?

Meinhard Miegel: Sicher. Grundsätzlich orientiert sich die Rente an der Entwicklung der Löhne und Gehälter des vorangegangenen Jahres. Steigen die Löhne und Gehälter in diesem Zeitraum, steigen die Renten. Sinken sie, müssten auch die Renten sinken. Dieser Grundsatz ist in den zurückliegenden Jahren in vielfältiger Weise modifiziert worden, das lässt sich aber nicht mehr in drei Sätzen formulieren: durch einen Nachhaltigkeitsfaktor, durch einen Riesterfaktor, eine Niveausicherungsklausel, eine Schutzklausel, einen Nachholfaktor und so weiter...

Berliner Zeitung: Mit der Rentengaranie ist jetzt eine weitere Einschränkung hinzu gekommen. Was halten Sie von dem Gesetz, das Rentenkürzungen künftig ausschließen soll?

Meinhard Miegel: Politisch ist das für mich verständlich. Keine Partei will sich schlecht stellen mit 20 Millionen Rentner. In der Sache ist es jedoch völlig falsch. Denn es bedeutet, dass das ohnehin labile Rentensystem weiter geschwächt wird. Das heißt, die gegenwärtigen Rentner werden gegenüber zukünftigen Rentnern bevorzugt. Sie bekommen eine stärkere Stellung als die Beitragszahler. Die Rentengarantie ist deshalb aus meiner Sicht überhaupt nicht zu rechtfertigen.

Berliner Zeitung: Können Renten überhaupt sinken? Schließlich gibt es den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz. Hätten Rentner gegen Minusrunden nicht klagen können?

Meinhard Miegel: Ich hätte da keine großen Erfolgschancen gesehen. Denn es besteht - wie gesagt - ein innerer Zusammenhang zwischen Rentenentwicklung, Rentenhöhe und dem Erwerbseinkommen. Was wäre denn, wenn die Erwerbseinkommen über einen Zeitraum von vier, fünf Jahren sinken würden? Das kann ja niemand ausschließen. Dann könnten die Rentner nicht sagen, wir klinken uns aus dem gesamten System aus. Was ist, wenn wir eine längere deflationäre Periode bekommen sollen? Dann würde die Kaufkraft der Renten permanent steigen, aber die Löhne würden wegen zunehmender Arbeitslosigkeit sinken. Also, das passt alles nicht zusammen. Das Bundesverfassungsgericht hat klar gestellt, dass die Versichertengemeinschaft - Beitragszahler wie Rentner - eine Schicksalsgemeinschaft bildet. Steigen die Löhne, geht es bei den Renten nach oben, sinken sie, verfallen auch die Rentenansprüche.

Berliner Zeitung: Gehen Sie davon aus, dass die Beitragssätze wie geplant ab 2012 gesenkt werden?

Meinhard Miegel: Ich habe schon vor der Krise nicht daran geglaubt, dass sie sinken werden. Nein, diese Beitragssenkungen können nicht kommen. Es sei denn, wir sind bereit, einen noch höheren Anteil der Renten über Steuern zu finanzieren. Nur, schon heute beträgt dieser Anteil bereits ungefähr ein Drittel.

Berliner Zeitung, 7. Mai 2009

Interview: Mira Gajevic